Geschichte

In den 1970er-Jahren entwickelten sich mit den Bürgerinitiativen neuartige soziale Bewegungen. Die gewaltfreie Platzbesetzung gegen das geplante Atomkraftwerk im Wyhl gab im Jahr 1975 den Startschuss für den bundesweiten Widerstand gegen die Atomenergie. Seitdem gibt es eine bis heute reichende erfolgreiche Geschichte von gewaltfreien Aktionen und Kampagnen gegen den Bau und den Betrieb von Atomkraftwerken.
Mit dem Erstarken der Friedensbewegung in den frühen 1980er-Jahren entstand eine weitere soziale Bewegung, die ihren Widerstand und ihre Aktionen gewaltfrei praktizierte. In dieser historischen Situation wurde auch im Südwesten Deutschlands über die Notwendigkeit diskutiert, langfristig gewaltfreie Methoden und Strategien des Widerstands weiter zu entwickeln und zu vermitteln. Es entstand die Idee zur Gründung eines gewaltfreien Zentrums in Baden.

Gründung:

1984 wurde schließlich die „Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden” in Karlsruhe gegründet. Soziale Bewegungen sollten gestärkt, gewaltfreie Aktionen durch Trainings vorbereitet und die Arbeit von Gruppen und Initiativen erfolgsorientiert unterstützt werden. Dies geschah in Kooperation mit dem Ökumenischen Netz Baden, dem Arbeitskreis Soziale Verteidigung in der Ev. Landeskirche Baden sowie den Trainingskollektiven für Gewaltfreie Aktion aus Heidelberg und Karlsruhe.
Der Trägerverein erhielt den Namen „Gewaltfrei Leben Lernen e.V.”. Damit war und ist der Anspruch verbunden, neben der Gewaltfreiheit als politischer Aktionsform auch die Fragen des Lebensstils im Alltag in einem produktiven Spannungs-verhältnis zu verbinden. Theorie und Praxis vom M. Gandhi und M.L. King, aber auch anarchistische und friedenskirchliche Strömungen bildeten Bezugspunkte zur politischen Praxis und zum Alltagshandeln.

Was hat die Werkstatt seitdem erreicht?

Ausbildungen und Trainings, Themen und Zielgruppen:

Im Lauf der Jahrzehnte entwickelte die Werkstatt eine Vielzahl von Seminaren, Trainings und schließlich auch Aus- und Fortbildungen. Neben der kontinuierlichen Begleitung der Ökologie-, Anti-Atomkraft- und Friedensbewegung war die Werkstatt in wechselnder Intensität auch in der Frauen- und Männerbewegung, in der Anti-Rassismus-bewegung (Trainings in Zivilcourage) und der Bewegung zur Kriegsdienst- und Totalverweigerung gegen alle Kriegsdienste aktiv.

Im Zentrum der meisten Aktivitäten steht bis zum heutigen Tag die Friedensbewegung. Mit dem Golfkrieg 1990, dem Jugoslawien- und Kosovokrieg und den zunehmenden fremdenfeindlichen Attacken in Deutschland in den 1990er-Jahren rückte auch das Thema zivile und konstruktive Konfliktbearbeitung und Mediation (Vermittlung in Konflikten) auf die Agenda. Bei den Alltagsthemen standen Formen des Sexismus und militarisierter Männlichkeit, herrschaftsfreie Entscheidungsfindung (Konsens), gewaltfreie Kommunikation und konstruktive Formen der Zusammenarbeit in Gruppen im Mittelpunkt. Mit dem Thema Mediation und den vielfältigen Anwendungsbereichen im Alltag und in der Politik leistete die Werkstatt Pionierarbeit.

Bei all diesen Themen ging und geht es um die kreative Verbindung von gewaltfreiem Alltagshandeln und politischer Auseinandersetzung im öffentlichen Raum, wozu auch die Aktionsform „Boykott”, die die Werkstatt schon früh aufgegriffen hatte, gehörte.

Seit Ende der 90er Jahre wurden zunehmend längerfristig angelegte Qualifikationen angeboten.
Die erste werkstatteigene Ausbildung „Von der Barbarei* der Gewalt zur Kultur der Gewaltfreiheit” umfasste Aspekte der Philosophie der Gewaltfreiheit sowie Theorie und Praxis der Gewaltfreien Aktion. In dieser Zeit entstanden auch erste Konzepte für Bewegungsarbeitende und zivile Konfliktlösungsfachkräfte. Mitarbeitende der Werkstatt waren an der Ausarbeitung des Curriculums der Aus-bildung für Friedensfachkräfte, dem heutigen Zivilen Friedensdienst, beteiligt. Kurse für eine Grundqualifizierung in gewaltfreier Konfliktbearbeitung folgten im Auftrag der Ev. Landeskirche in Bayern und über mehrere Jahre in der Ev. Landeskirche in Württemberg.

Aktuell werden drei Grundausbildungen von der Werkstatt angeboten:
„Mediation”, „Moderation und Konsens” sowie die Kampagnenqualifikation „CampaPeace”.

Aktionstrainings, Aktionen und Kampagnen:

Beteiligt war die Werkstatt u.a. an gewalt-freien Aktionen gegen den zweiten Golfkrieg, bei der Kriegssteuerverweigerung, an Aktionstrainings für den Anti-AKW-Widerstand von Gorleben über Gundremmingen bis Neckarwestheim, beim zivilen Ungehorsam in der Anti-Genmais-Bewegung, bei Trainings und Blockaden gegen Castor-Transporte, bei Protesten gegen die G8-Gipfel in Heiligendamm und Davos und bei Blockaden am Atomwaffen-lager in Büchel.

Mit ihrem Kampagnen-Team stand die Werkstatt politischen Gruppen und Initiativen und auch Gewerkschaften immer wieder beratend bei der Entwicklung von gewaltfreien Kampagnen zur Seite. Kampagnen, an denen sich die Werkstatt beteiligte, waren zum Beispiel die Landminen-Kampagne “Daimler Minen Stoppen!”, mit der der Großkonzern Daimler zum Ausstieg aus der Minenproduktion bewegt wurde, ein Siemensboykott wegen der Beteiligung am Bau von AKWs sowie die Forderung von sozialen Mindeststandards bei der Drogeriekette Schlecker.

Heute engagiert sich die Werkstatt in den Kampagnen “Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!”, “Schulfrei für die Bundes-wehr – Lernen für den Frieden”, “Atomwaffenfrei.jetzt”, und “Macht Frieden. Zivile Lösungen für Syrien”.

Netzwerke und Kampagnen:

Seit ihrer Mitarbeit bei der Gründung des Bundes für Soziale Verteidigung ist die Werkstatt dieser pazifistischen Friedensorganisation bis heute verbunden und dort immer wieder aktiv. Darüber hinaus arbeitet sie seit vielen Jahren in der bundesweiten “Kooperation für den Frieden” und in der AGDF, der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden, mit. Beim “Zentrum Frieden” während des Deutschen Evangelischen Kirchentags 2015 in Stuttgart war die Werkstatt mit im Koordinationsteam tätig.

Als eine beständige Unterstützerin der Werkstatt erwies sich die Ev. Landeskirche in Baden.
Im Forum Friedensethik engagierte Werkstattmitglieder haben zu pazifistischen Positionierungen innerhalb der Ev. Landeskirche in Baden beigetragen und sie wirken im friedensethischen Konsultationsprozess mit.

Wichtige Publikationen:

In ihren ersten Jahren hat die Werkstatt durch „Arbeits- und Aktionshefte” zu den Themen Konsens, Sexismus in politischen Gruppen und Boykott wichtige und praktische Impulse gegeben.
Das 1993 erstmalig veröffentliche Buch „Mediation – Vermittlung in Konflikten” von Christoph Besemer wurde auf Anhieb zum anerkannten Grundlagenwerk für Mediation. 2009 wurde es in überarbeiteter und ergänzter Form unter dem Titel “Mediation. Die Kunst der Vermittlung in Konflikten” neu aufgelegt. Noch heute zählt es zu den wichtigsten Veröffentlichungen zum Thema Konfliktbearbeitung durch Mediation.

Zwei weitere einzigartige Bücher hat die Werkstatt herausgegeben:
2004 erschien “Konsens – Handbuch zur gewaltfreien Entscheidungsfindung”, verfasst von Bernd Sahler et al., mit grundlegenden Artikeln und praktischen Anleitungen zur Konsensfindung in Gruppen.
2007 veröffentlichte die Werkstatt den Sammelband “Gewaltfrei gegen Hitler? – Gewaltloser Widerstand gegen den Nationalsozialismus und seine Bedeutung für heute”, nach einer Idee von Christoph Besemer, mit Beiträgen von verschiedenen AutorInnen in- und außerhalb der Werkstatt.

Schon 1999 hat Christoph Besemer erstmals das Pat-Patfoort-Modell zur Entwurzelung der Gewalt unter dem Titel „Konflikte verstehen und lösen lernen” im deutsch-sprachigen Raum bekannt gemacht. 2008 hat die Werkstatt in Zusammenarbeit mit dem Versöhnungsbund das von Pat Patfoort selbst verfasste Werk „Sich verteidigen ohne anzugreifen. Die Macht der Gewalt-freiheit” in deutscher Sprache veröffentlicht.

2013 erschien das „Kursbuch für gewaltfreie und konstruktive Konfliktbearbeitung”, eine praktische Arbeitshilfe für Fortbildungen, herausgegeben und verfasst von Renate Wanie und Ulrich Schmitthenner.
Und schließlich veröffentlichte Christoph Besemer et al. 2014 das Handbuch „Politische Mediation”, vorrangig für zivilgesellschaftliche Gruppen.

Ehemalige und aktuelle hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Sara Fromm, Christoph Besemer, Dietrich Becker-Hinrichs, Renate Wanie, Bernd Sahler und Kerstin Deibert.

*Anmerkung zum Begriff der Barbarei:

Barberei ist ein rassistischer Begriff. Er bedeutet auf altgriechisch und Sanskrit in etwa „fremde Völker“ oder „Leute die kein Griechich sprechen“ und hat schon in der Antike dazu gedient Menschen einer vermeintlich niedrigeren Kulturstufe zuzuordnen. Es wird auch kritisiert, dass mit dem Begriff immer nur Gewalt die von nicht-weißen ausgeht beschrieben wird, während Gewalt die von Weißen im Kolonialismus, Holocaust etc. verübt wurde nicht mit diesem Wort beschrieben wird.