Rückblick:

Intersektional gedacht – aber wie?

von Jessica Rabi Aboubakari

Rassismus wirkt sich in unterschiedlicher Weise auf unsere zwischenmenschlichen Beziehungen aus und prägt uns ebenfalls unterschiedlich durch vorgelebte Werte, Bilder, Stereotype und soziale Praktiken unserer Gesellschaft, die wir internalisieren. So beschreibt der peruianische Soziologe Aníbal Quijano Obregó mit dem Blick auf die lateinamerikanische Gesellschaft, dass sich seit der gewaltvollen Eroberung Amerikas Rassismus „auf allen materiellen und subjektiven Ebenen, Bereichen und Dimensionen der alltäglichen Existenz und auf jeder sozialen Skala [auswirken]“ (Quintero 2013).

Um diese vorhanden Strukturen vor allem in der Zusammenarbeit in politischen Gruppen, aber auch privat, aufzubrechen, muss eine intensivere Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien stattfinden. Privilegien stellen Kategorien bzw. Zuschreibungen dar, die nicht natürlichen Ursprungs sind und von der Gesellschaft erschaffen wurde (Hesterberg 2021), um z.B. Ausbeutung und Ausgrenzung zu legitimieren (Attia 2013). Privilegien werden uns ohne aktives Handeln zur Verfügung gestellt oder entzogen (Arndt 2021). Als weiße Person bedeutet dies, sich keine Gedanken darüber machen zu müssen aufgrund der eigenen Hautfarbe Wohnungen und Jobs nicht zu bekommen, sich vor physischen oder psychischen rassistischen Attacken schützen zu müssen oder nicht als „fremd“ wahrgenommen zu werden.
Um genauer zu verstehen wie unterschiedliche Privilegien innerhalb unserer Gesellschaft wirken und die damit einhergehende Komplexität zu verstehen, ist es hilfreich, das Konzept der Intersektionalität mitzudenken.

Das aus der US-amerikanischen Schwarzen feministischen Bewegung entstandene Konzept der Mehrfachdiskriminierung, sollte damals erklären weshalb Schwarze Frauen nicht dieselben Lebensrealitäten wie weiße Frauen oder Schwarze Männer besitzen. Schon bevor die Juristin Kimberlé Crenshaw den Begriff der intersection (=Kreuzung), also Intersektionalität, prägte, forderten Schwarze Feministinnen wie Sojourner Truth , Audre Lorde oder Barbara Smith und das Combahee River Collective, dass sich verschiedene Diskriminierungsformen überschneiden können und z.B. race, Klasse oder Geschlecht nicht nur einzeln wirken (Kelly 2022). Hier ist also unbedingt zu beachten, dass alle zugeschriebenen, strukturellen Kategorien wie race, Klasse, Geschlecht, gesundheitliches Befinden, Bildung, Alter, … mehrdimensional, also überschneidend, in einer Person wirken und sich darauf auswirken welche Diskriminierungserfahrungen auf welche Art und Weise erlebt werden.

Crenshaw beschreibt in ihrem TED-Talk „the urgency of intersectionality“ (übersetzt: Die Dringlichkeit von Intersektionalität), dass sofern es keinen Namen für ein Problem gibt das Problem nicht gesehen und somit auch nicht gelöst werden kann.
Mit dem rassismuskritischen Blick heißt dies wie bereits oben beschrieben zu sehen und zu benennen, das weiße Personen mehr Privilegien genießen und somit bewusst und unbewusst mehr Macht besitzen und ausüben können. Auf aktivistische Gruppen bezogen meint dies z.B. folgende Fragen: Wer wird repräsentiert? Wer hat wie viel Redeanteil? Wer entscheidet am Ende über Beschlüsse? Welche Problematiken werden in den Fokus gestellt?

Es stellt sich daraus die Frage wie das Problem gelöst werden kann. Wichtig zu verstehen ist, dass Rassismus ein strukturelles Problem ist. Es gibt keinen Leitfaden, nachdem genau das in dieser Reihenfolge befolgt werden muss, um intersektionaler und rassismuskritischer zu handeln. Dennoch sollte es aber die Verantwortung jedes Einzelnen sein, alle persönlichen Ressourcen aufzubringen, um selbst keinen Rassismus zu reproduzieren und offen sein dazuzulernen. Neue Perspektiven anzuerkennen und sich selbst ständig kritisch zu reflektieren.
Dies kann z.B. passieren, indem an Workshops teilgenommen wird, Räume aufgesucht werden, um sich darüber auszutauschen und zu lernen. Indem Bücher wie z.B. Exit Racism von Tupoka Ogette oder Der Weisse Fleck von Mohamed Amjahid gelesen werden, indem genauer beschrieben wird welche strukturellen Probleme dahinter stecken und weshalb sich diese in unser Denken, Fühlen und Handeln verankern. Und indem eine Offenheit gegenüber Kritik besteht, bei der dazugelernt werde kann Diskriminierung nicht zu reproduzieren.
Den eigenen Rassismus aufzubrechen und intersektionaler mitzudenken, ist ein lebenslanger Prozess, der unabdingbar für eine wirklich gerechte Gesellschaft ist.

Begriffserklärung

BIPoC: stellt die Abkürzung für Black, Indigenous, People of Color (übersetzt: Schwarz, Indigen und Personen of Color) dar. Es handelt sich hierbei um eine bestärkende, politische Selbstbezeichnung. Sie sind aus einem Widerstand heraus entstanden und spiegeln die kollektiven Kämpfe gegen Rassismus, europäischen Kolonialismus und Unterdrückung wieder.

Schwarz: wird als Selbstzeichnung von Menschen afrikanischer und afro-diasporischer Herkunft verwendet. Das groß geschriebene S soll hierbei neben dem kämpferischen Widerstand auch die sozio-politische Positionierung darstellen, die innerhalb einer weiß-dominierten Mehrheitsgesellschaft und gesellschaftlicher Ordnung herrscht.

weiß: In kursiv geschrieben, beschreibt „weiß“ die privilegierte und soziale Positionierung von Personen innerhalb unseres Systems. Es sollen die von Rassismus geprägten Macht- und Herrschaftssysteme dargelegt werden. Es stellt nicht die Beschreibung einer Hautfarbe dar, sondern meint ebenfalls einen poltischen Begriff.

race: Der Begriff „race“ beschreibt sozial gemachte Unterschiede, die strukturell zu Diskriminierung und Ungleichheit führen. Der Begriff stammt aus dem Englischen und wird nicht ins Deutsche übersetzt, da hier nicht auf vermeintlich biologische Unterschiede verwießen wird, wie es die deutsche Übersetzung von „Rasse“ tun würde.

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